1997: Kampf der Modernen
Gropiusbau vs. Haus der Kulturen der Welt
Für knapp 16 Mio DM war sie in den Gropius-Bau gepflanzt worden, die Ausstellung "Epoche der Moderne - Kunst des 20. Jahrhunderts". Christos Joachimides und Mitstreiter Norman Rosenthal, die schon 1982 mit ihrer "Zeitgeist"-Präsentation an gleicher Stelle Furore gemacht hatten, war es gelungen, einiges an öffentlichen Geldern zu mobilisieren. Von Arbeiten von Picasso und Matisse führen nun fünf "Realität - Deformation", "Abstraktion - Spiritualität", "Sprache - Material", "Traum - Mythos", "Das Porträt" betitelte Pfade bis Cindy Sherman. In Interviews betonen die Ausstellungsmacher, wie sie versucht haben, von üblichen Kategorisierungen wegzukommen und wieviel prominente Werke sie versammeln, Chagall, Malewitsch, Wombly und Kokoschka und Koons und Richter und und und.
Da bekommen sie den Vorwurf hingeworfen, nur eine transatlantische Kunst-Achse zu berücksichtigen, ein letztlich westlich-tribalistisches Unternehmen zu veranstalten, angelegt aus eurozentristischer Perspektive. Das Haus der Kulturen der Welt hat mit "Die anderen Modernen" eine Art Diskursausstellung mit 30 Künstlern der "Rest-Kontinente" gesetzt - und mit einem Symposium mit dem designierten Documena-Kurator Okwui Enwezor zum selben Thema gleich noch eins obendrauf. Das ist nicht das erste Mal, schon als 1996 die Großausstellung "Afrika - Kunst eines Kontinents" mit einer Unzahl staunenswerter Exponate aus dem Londoner Victoria&Albert Museum in den Gropiusbau gewandert war, hatte das Haus "Afrika und die Moderne" dagegengehalten. Hatte die Masken, Fetischen, Metallplatten, Zeugnissen vergangener afrikanischer Großreiche mit einer vibrierenden zeitgenössischen Kunstszene des Kontinents konterkariert. Nun geht es also um die Modernen gleich mehrerer Kontinente: Im Haus der Kulturen der Welt ist zu sehen, wie Künstler mit der Musealisierung im aktuell sich globalisiernden Kunstbetrieb spielen und mit den Übersetzungsschwierigkeiten, die auch den befallen, der sich aus europafixierten Sehweisen zu befreien sucht. Zeitungen betonen - ein wenig erstaunt? - dass auch diese Künstler sich sowohl der Versatzstücke westlicher (Alltags-)Kultur als auch der Neuen Medien bedienen. Ein Gegensatz wird konstatiert zwischen Werken ergreifender Schönheit - eine Installation des Brasilianers Ernesto Neto etwa, die eine magische Verbindung aus Transparenz, Porosität, Feinheit und Dehnung, Schwere schaffe - und der Verarbeitung allgegenwärtiger Gewalt, so in der fröhlichen Ladeninstallation des Kolumbianers Jorge Rodriguez-Aguilar mit Gefäßen voller Bomben und Gewehren. Aber auch die Ausstellung im Haus wird kritisiert: als könnten deutsche Kuratoren einen Bogen zeitgenössischer Kunst aus drei Kontinenten so unterschiedlicher Kulturen spannen, ohne dass sie den Anspruch erheben, sich universalistisch einfühlen zu können. Dabei wären einige der Werke nichts anderes als eine Wiederbestätigung dessen, was der Europäer sowieso schon zu wissen glaubt. Schließlich kommen aber alle Zeitungen immer wieder auf den Kontrast der beiden Austellungen zurück - sind "die anderen" die interessanteren Modernen? Wurde im Gropiusbau mit Scheuklappen kuratiert?
Joachimides hält auf einer eilig anberaumten Diskussionsveranstaltung im Haus der Kulturen der Welt dagegen. Sein Begriff der Moderne sei kongruent mit dem angelsächsischen "Modernism", also ein wissenschaftlich eindeutig definierter Zeitabschnitt. Nicht um ein Panorama zeitgenössischer Kunst sei es ihm gegangen, sondern um eine kunstwissenschaftlich fassbare Entwicklung von künstlerischen Standpunkten der offenen, kritischen Avantgarde. Für das Haus der Kulturen der Welt wiederholt Alfons Hug seine Anschuldigung: NATO-Kunst sei da versammelt im Gropiusbau. Nicht in der Lage, die vielfätigen Anstöße zu benennen, die in der Vergangenheit in die westliche Kunst eingegangen sind. Und noch weniger, die eigenständigen Kunstimpulse zu erkennen, die parallel zur westlichen eben in eigenständige Modernen gemündet sind. Und wenn von "der" Moderne als urbaner Erscheinung gesprochen werde, was sei dann mit den riesigen Meropolen des Südens? Die eingeladenen "Vertreter" der anderen Modernen äußern ihre Positionen verschlüsselt: Der Schriftsteller Simon Njami (Paris/Kamerun) betont, er wolle gar keine afrikanische Kunst im Louvre, dem Repräsentationstempel abendländischer Werke, sehen. Und der chinesische Kunstkritiker und Künstler Fei Dawei want vor der Unfruchtbarkeit, die entstünde, wenn die Kategorien der westlichen Kunst, also auch der Moderne, nicht veränderbar seien.
Blickt man heute zurück, scheinen die beiden Ausstellungen Vorläufer gewesen zu sein: Die im Haus der Kulturen der Welt eine "Schwalbe" der Auseinandersetzung mit dem Zwiespalt zwischen kreativer Aufnahme von Globalisierungsprozessen und Beharren auf der je eigenen Tradition, zwischen globalisierter Moderne und globaler Parallelität des Zeitgenössischen. Die im Gropiusbau scheint die Richtung zu den "Großausstellungen" von MoMA- und Metropolitan-Kunst zu weisen. In Richtung Event mit Goya und Riesenwarteschlangen. Im Vorfeld der Joachimides-Schau war denn auch immer wieder das fehlende kritische Konzept kritisiert worden (das ja vielleicht sogar die Relativierung des Moderne-Konzepts hätte beinhalten können). Das Ganze, so die FAZ, würde nicht fruchtbarer werden als ein einfacher Besuch im Museum of Modern Art. Man müsse doch mal fragen, ob nicht der massenweise Ankauf von Flugtickets nach New York effektiver wäre, man solle mal ausrechen, wieviel Flüge man für 16 Millionen DM bekäme.
Axel Besteher-Hegenbart
Frankfurter Rundschau, 9.5.1997
die tageszeitung, 12.5.1997
Süddeutsche Zeitung. 13.6.1997
Berliner Zeitung, 9.5.1995
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.6.1997
Der Spiegel 19/1997