1991: Wer sitzt neben wem?

Neue Ideen und alte Nah-Ost-Konflikte

Konferenz "Gesichter des Islam", Cover der Publikation - Vorträge der 2. Orient-Tagung im Haus der Kulturen der Welt vom 10. - 12. Dezember 1991

Das neue Jahr beginnt mit Krieg – gegen den in Berlin und ganz Europa heftig demonstriert wird. Seit August 1990 hält Saddam Hussein Kuwait besetzt, im Januar und Februar 1991 treffen irakische Raketen Israel. Die UNO stellt ein letztes Ultimatum: bis zum 23. Februar um 18 Uhr muss der Rückzug begonnen haben. Sofort mit Verstreichen der Frist starten die Vereinten Nationen unter US-Kommando ihre Offensive gegen den Irak… mit der Folge, dass bereits am 28. Februar dort und in Kuwait alle Kampfhandlungen eingestellt werden.

Im Herbst dann in Madrid die erste Nahost-Konferenz, sie beginnt am 30. Oktober, Schirmherr US-Außenminister James Baker. Das Treffen wird zur Weltpremiere mit Eklat: Der israelische Premierminister Schamir sitzt zum ersten Mal mit palästinensischen Vertretern Arafats zusammen, und auch Syrien, Libanon, Jordanien haben erstmalig offizielle Kontakte zu Israel. Ein friedliebender Geist ist dennoch nicht zu verspüren – zum Zwischenfall, der die Konferenz fast vorzeitig beendet, kommt es als der israelische Delegationschef Schamir Syrien als Verantwortlichen für „zahlreiche blutige Terrortaten“ anprangert. Der syrische Außenminister Scharaa revanchiert sich, indem er Israels Premier einen „gesuchten Terroristen“ nennt. Baker rügt dieses Verhalten, vergleicht aber den Prozess zu einem veränderten Umgang miteinander hoffnungsvoll mit der Evolution: „Man kriecht, ehe man läuft. Man läuft, ehe man rennt – heute haben wir angefangen zu kriechen.“

Vielleicht sind Dialoge in zunächst kleinerem Rahmen da ganz nützlich. Im Haus der Kulturen der Welt kommt es einen Monat nach der Konferenz zu einem Mini-Nahostgipfel: Am 26. November diskutieren die israelische Journalistin Roni Ben-Efrat aus West-Jerusalem und die aus der besetzten Westbank stammende Palästinenserin Aida Assaui über die Situation in ihrer Heimat.

Im Dezember geht der Dialog an einem anderen Punkt weiter, bei der Konferenz „Gesichter des Islam“, mit Wissenschaftlern aus Kairo und Deutschland. Es nehmen gemäßigte Reformer teil wie der spätere ägyptische Religionsminister und Islam-Theologe Prof. Mahmoud Zakzouk und Prof. Zeinab Afifi, Dozentin für Islamische Philosophie an der Universität Al Munafieh. Daneben aber auch vertreten: radikalere Modernisierer wie Prof. Fouad Zakariya, der gegen Islaminterpretationen argumentiert, die eine Ursprünglichkeit der Texte behaupten und die heutige Realität ignorieren. Die Themen der Konferenz haben an Aktualität in den folgenden Jahren stetig zugenommen: die Aktualität eines linken Islams, die Rolle der Frauen in der Gegenwart in einer muslimischen Perspektive, wissenschaftliche Methoden und Experimente im Islam. Die „taz“ lobt den „lebhaften inner-islamischen Meinungsstreit“, die Streitkultur der muslimischen Vortragenden und des iranischen und arabischen Publikum in der Diskussion. Beim deutschen Publikum aber würden Zurückhaltung und Über-Höflichkeit klare Positionen verwischen.

Ein eingeladener Sheikh nimmt es dafür mit der klaren Position aber sehr genau und setzt Standpunkt gleich Sitzplatz: er will nicht mit Diskussionspartnern anderer Ansichten an einem Tisch platziert werden.
Marie-Anne Soyez

taz, 25.11.1991, 13.12.1991, 18.12. 1991
Der Spiegel 45/ 1991
http://www.brockhaus.de/aktuell/thema.php?t_id=65&jahr=2002
http://www.hagalil.com/israel/geschichte/zeittafel-1991.htm
http://www.nadir.org/nadir/periodika/kurdistan_report/21101/11.htm