1988: Vulkan in der Kongresshalle
Die Gründung der Haus der Kulturen der Welt GmbH und Berlin als Kulturstadt Europas
Das Papier trägt die Überschrift Drucksache 10/2309 und ist auf den 10. Juni 1988 datiert. Es ist die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses über die „Gründung eines `Hauses der Kulturen der Welt` in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung“. Das Abgeordnetenhaus folgt der Empfehlung, am 3. November wird beim Amtsgericht die neue Firma angemeldet. Soweit, so formal. Inhaltlich hatten sich FDP, Goethe-Instituts-Leute und Berliner Festspiele-Intendant Eckhardt und dann auch der Kultursenator schon geäußert: wobei man immer wieder schwankt zwischen der Aufgabe, „Entwicklungsländer in ihrer kulturellen Vielfalt zu präsentieren“ (Kultursenator Hassemer), oder „Präsentation zeitgenössischer Kunst“ (Walter Rasch/FDP) oder „Überwindung des Nord-Süd-Konflikts“ (Wirtschaftssenator Pieroth). Dennoch, so 1988 die Berliner Morgenpost, auch als „Haus ferner und exotischer Kulturen“ - so nannte man das damals – „werde die Kongresshalle in großen Teilen für den regulären Tagungs- und Veranstaltungsbetrieb zur Verfügung stehen.“ Das aber ist denn doch ein Irrtum, schon Mitte 1989 wird die „taz“ dem HKW Pragmatismus vorwerfen: „Hauptsache die Kongresshalle ist auf Biegen und Brechen voll.“
1988 aber ist erst einmal das Jahr einer anderen Feier: Berlin ist unter dem Logo E88 Kulturhauptstadt Europas und lässt einige hundert Veranstaltungen auf Berliner und Touristen los. 750-Jahr-Feier und gleich darauf E88, das und andere Großereignisse haben Diskussionen ausgelöst, ob es nicht zuviel der Festivals sei, eine Art „Festivalisierung der Politik“, in der die Entwicklung der Städte nur noch über Events vorangebracht und damit dem Zufall kurzfristig akquirierter Festfinanzierungen überlassen wird – die wie bei dem Jubiläums-Budget mit 1,8 Milliarden DM durchaus beträchtlich ausfallen können. Diese Debatten haben kaum etwas ausgerichtet, schon gar nicht im E88-Jahr. Die Kongresshalle wird Teil des Feierreigens, vor allem im Sommer gibt es rotglühende Unterhaltung: Das Festival Krakatau zieht ein.
Krakatau, das ist der indonesische Vulkan Krakatau, dessen bekannteste Eruption am 27. August 1883 die gleichnamige Insel vollkommen zerstörte. Gut hundert Jahre später steht Krakatau als Symbol für Aktivität – allerdings nicht für vulkanisch-zerstörende in Indonesien, sondern für kulturell-schöpferische in Berlin. In der Kongresshalle und im Tempodrom daneben verbringen 1100 Kinder und Jugendliche ihre Sommerferien. Sie besuchen mit ihren Eltern keine fremden Länder, sondern bekommen selbst Besuch von Kunst und Künstlern. Vor allem das eigene Ausprobieren steht in den rund 35 Workshops, Aktionen und Aufführungen im Mittelpunkt. Die Werkstätten umfassen alle Künste: Musik-Klang-Raum, Stimme-Sprache-Bild, Tempo-Tanz-Percussion, Bild-Dokumentation-Film, Raum-Material-Aktion, Film-Video-Tempo, Show-Theater- Stimme. Und sie werden prominent geleitet, etwa von Frieder Butzmann und Thomas Kapielski (Berlin), Bazon Brock (Wuppertal), Peter Weibel (Wien), Black Blanc Beur (Tanz und Showgruppe aus Paris), Leonore Ickstadt (Berlin, New York), Ismael Ivo (Berlin/Brasilien), Saf Sap (Musikgruppe aus Berlin und Senegal) und Lehrern der Nationalen Zirkusschule (Paris). Hier werden die Kinder und Jugendlichen also ernstgenommen. Der Kultur-Vulkan hört auch nach dem Abschlussfest im August nicht auf zu brodeln, was nicht nur daran liegt, dass noch bis Jahresende an 16 Orten Berlins die Kunst-Workshops als „Kulturkarawane“ weiter gehen. Wichtiger noch: Die Kongresshalle als „multikulturelles Zentrum“ hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Marie-Anne Soyez / Axel Besteher-Hegenbart
Berliner Morgenpost 6.3.1988
Der Tagesspiegel, 22.5.1985
SFB, Sendereihe Stadtgespräch, 2.11.1981, Interview, Manuskript Robert Frank, Typoskript
Berliner Morgenpost 6.3.1988
die tageszeitung, 28.7.1989
Hartmut Häußermann, Walter Scheel, „Festivalisierung der Stadtpolitik“, Leviathan Sonderheft 13/93
„Berlin – Kulturstadt Europas 1988“, Ullstein Frankfurt am Main/Berlin, 1989