1985: Ein Schmetterling und ein altes, grünes Zirkuszelt

Henry Moores letztes Werk und das Tempodrom

"Tempodrom", im Hintergrund die Kongresshalle., Nach 1987 - die Henry-Moore-Skulptur steht schon im Spiegelteich., (c) ullstein - Dolle

Die Alternativbewegung kommt zur Kongresshalle, in Gestalt des Tempodrom, das auf den Parkplatz gepflanzt wird. Fünf Jahre zuvor hatte die Krankenschwester Irene Moessinger, Pflegerin im Urban-Krankenhaus im „Problembezirk Kreuzberg“, eine halbe Million geerbt. Anstatt fortan „Privatier“ als Berufsbezeichnung zu führen, verwirklichte sie sich einen Traum: Sie kaufte ein Zirkuszelt, stellte es am Potsdamer Platz mauernah ins Grüne und machte es zur Heimat alternativer Kunst und Kultur aus aller Herren Länder. Hier trafen sich die Künstler, die in der Hausbesetzerbewegung Rang und Namen hatten – und da die 1985 noch blühte, war für viel Publikum gesorgt. Hier fanden Kongresse zu Strategie und Taktik “linker sozialer Bewegungen“ statt. Unter diesen Zeltplanen begannen Karrieren wie die des Komikers Eisi Gulp und die der Drei Tornados. Aber auch Bob Dylan, Johnny Cash und Lou Reed gaben sich die Ehre. Anfangs stand Irene Moessinger sogar noch selbst in der Arena und präsentierte ihr Wunderschwein Oscar, das sein Ringelschwänzchen gerade machen konnte. Nun, 1985, zieht das Tempodrom in den Tiergarten auf den Kongresshallenparkplatz. Fortan finden hier Weltmusik-Festivals, Comedy-Shows und Aktionstheater von Gruppen wie „La Fura dels Baus“, den Ratten vom Flusse Baus, statt. Auch das „Heimatklänge“-Festival wird hier 1988 aus der Taufe gehoben – lange Zeit Berlins größtes Sommermusikfestival, 1989 dann in Kooperation mit dem neuen Haus der Kulturen der Welt. Mit einer Caipirinha in der linken und einer lustigen Zigarette in der rechten Hand wiegt man sich hier in lauen Sommernächten im Takt kubanischer, namibischer oder kroatischer Klänge. Eine der Ikonen der Szene wohnt sogar auf dem Gelände des Tempodroms: Nina Hagens Adresse lautet jahrelang „In den Zelten“.

1985 war auch das Jahr, in dem Henry Moore – der im Folgejahr 88-jährig starb – mit der Entwicklung seiner letzten großen Arbeit begann. „Large Divided Oval: Butterfly“ wird nach seiner Fertigstellung zur 750-Jahr-Feier Berlins 1987 vor der Kongresshalle aufgestellt. „There is a right physical size for every idea“, sagt Moore einmal und erschafft einen 10t schweren Bronzeschmetterling, der trotz seiner Wuchtigkeit über dem Wasser des Spiegelteichs zu schweben scheint. Nun hat Berlin drei Henry-Moore-Skulpturen, denn vor der Akademie der Künste streckt sich seit 1961 „Die Liegende“ und neben der Neuen Nationalgalerie steht „Der Bogenschütze“ von 1964. Auch Bielefeld, Bonn, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Freiburg und Münster haben sich „einen Henry Moore“ gesichert. Der Bonner erlangt besondere Berühmtheit: „Large Two Forms“ ließ der damalige Bundeskanzler und Moore-Jünger Helmut Schmidt 1979 vor dem Bundeskanzleramt aufstellen. Die Skulptur sollte das Zusammengehören West- und Ostdeutschlands symbolisieren. Große Politik kam fortan immer etwas rundlich ins Wohnzimmer.

Übrigens: Während parallel zu den Wiederaufbauarbeiten, manchmal unter „parlamentarischen Schmerzen“ die Gelder bewilligt werden, konkretisiert die FDP ihren Vorschlag: Ein „Haus der Weltkulturen“ solle in die Halle, das gleichermaßen die Kunst der „Dritten Welt“ zur Geltung bringen und der Entwicklungspolitik neue Impulse geben soll.
Dina Koschorreck

Volksblatt Berlin, 30.5.1985
Die Tageszeitung, 30.5.1985
Tagesspiegel, 22.5.1985
www.berlin.de
http://www.zeit.de/archiv/1999/29/199929.spitze.xml
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0427/lokales/0022/index.html