1979: Große Vögel unter Flügeldach

Loriot, Rühmann und Claudia Skodas Kreationen

15. Juli 1978, Die Ansprache des Präsidenten zum "Bürgertreffen mit Jimmy Carter" in der Kongresshalle, Fotograf & Copyright: Ronald Urbaschek

Auch 1979 findet die Verleihung der Goldenen Kamera der HÖRZU in der Kongresshalle statt. Schon im letzten Jahr war die Fernsehillustrierte mit ihrer Preisverleihungsshow hier zu Gast gewesen. Goldene Kameras erhielten damals Wencke Myrhe und Ilja Richter - die dänische Sängerin als beliebtester weiblicher Showstar in der „Starparade“ und der Berliner Jungschauspieler Ilja als Moderator und Hauptdarsteller in der Ende der 70er absolut bahnbrechenden Jugendsendung „Disco“. Zwei Schauspielerinnen - Vera Tschechova und Heidelinde Weiß - bekamen für gefühlvolle Fernsehfilme weitere der mit Gold überzogenen Silber-Kameras. Und Gerhard Löwenthal wurde für seine Reihe „Hilferufe von drüben“ die Auszeichnung aus dem Springer-Verlag verliehen, aber auch Loriot war dabei.

1979 nun gibt es einen ganz besonderen Preisträger: Karol Wojtyla, Papst Johannes Paul II., erhält die Goldene Kamera. Überreicht wird die allerdings nicht in der Kongresshalle, sie wird ihm zuhause im Vatikan vorbeigebracht. Der Papst bekommt diese Auszeichnung für „hohes Medienverständnis“. Mit dieser Würdigung liegen die Juroren auf keinen Fall falsch; ist die katholische Kirche doch seit Wojtylas Wirken extrem medial präsent. Aus der Schar der weiteren Preisträger ragt zum einen Heinz Rühmann heraus, der für seinen Fernsehstreifen „Diener und andere Herren“ und eine seiner Kleiner Mann-Rollen geehrt wird, zum anderen der Muppets-Erfinder Jim Henson. Eine bunte Mischung also, zählt man noch dazu, dass einige derjenigen ausgezeichnet werden, die an der Ausstrahlung der amerikanischen „Holocaust“-Serie in Deutschland beteiligt waren – und so für eine neue Stufe der Diskussion um die deutschen Verbrechen sorgten.

Fast zeitgleich zur HÖRZU-Show ist es soweit: Berliner Zeitungen titeln „Diese drei Buchstaben sollen um die Welt gehen“ und meinen damit ICC, das Internationale CongressCentrum, das im März 1979 eröffnet wird. Die Eröffnungsparty kostet eineindreiviertel Millionen Mark, es gibt eine „Harmonie“ genannte Multimedia-Show, die Cellisten der Philharmoniker spielen, Ephraim Kishon liest heiter satirische Betrachtungen über Kongresse, danach wird zur „Swinging Party“ geladen. 7500 Ehrengäste werden zu dieser Feier erwartet - natürlich auch zu einem opulenten Buffet. Berliner Straßenzüge werden beflaggt, die Erwartungen an das neue Kongresszentrum sind immens.

In der Kongresshalle aber geht das gewöhnliche Vermietungsgeschäft weiter, das doch zu ungewöhnlichen Ereignissen führt: Eine Fashion-Show der Strickdesignerin Claudia Skoda findet statt. Und das ist nicht irgendeine Modenschau. Sie wird begleitet von Manuel Göttsching, Kopf der legendären Band Ashra, vormals Ash Ra Tempel, die in den 70er-Jahren neben Tangerine Dream, Guru Guru und Can zu den Avantgarde-Ensembles des sogenannten Kraut-Rock gehört. Denn der Berliner Musiker ist einer der ersten, der neben Gitarren auch Synthesizer einsetzt und auf einer Stufe mit Kraftwerk steht, mit seinem 1981 entstandenem Album „E2-E4“ dann sogar zum Godfather der DJ-Genaration und Vorbild für die ganze Detroit-Techno-Bewegung wird. Claudia Skoda ist eben nicht irgendeine Designerin. Iggy Pop und David Bowie kommen schon mal vorbei, wenn sie ihre Shows inszeniert. Die Werkstatt der Kippenberger-Freundin in Kreuzberg ist wohl nicht zufällig „Fabrikneu“ benannt, der Name schlägt den transatlantischen Bogen zu Andy Warhols „Factory“ in New York. In der „Fabrikneu“ trifft Mode auf Literatur auf Punk auf Subkultur. Die Show 1979 in der Kongresshalle ist „Big Birds“ benannt - Skoda hat ihre Mannequins zur Vorbereitung in den Zoo geschickt, damit sie lernen, sich wie Vögel zu bewegen.

Übrigens: Auf der Ashra-Homepage von Manuel Göttsching ist zu lesen, es läge hoffentlich nicht an der machtvollen Musik, was im nächsten Jahr geschah …
Axel Besteher-Hegenbart

www.goldenekamera.de
Berliner Morgenpost, 28.3.1979
www.tagesspiegel.de
www.goethe.de
www.ashra.com