1975: Die Halle ist der Star
Philatelistisches und die Kongresshalle
Ein Sonderstempel vom mit gerippten buchengebeizten Holzpaneelen, roten Kunstledersitzen und organisch geschwungenen Tresen ausgestatteten Postamt der Kongresshalle: Dafür standen die Sammler schon kurz nach der Eröffnung an, dann immer wieder und besonders zahlreich, wenn dort Briefmarkenausstellungen oder Veranstaltungen wie die Internationale LuPostA (Ausstellung zu 50 Jahre Luftpost) stattfanden. 1975 kommt es dann zu einer Klimax: 76. Deutscher Philatelistentag in der Kongresshalle, Startschuss für eine Erneuerung des „Tages der Briefmarke“, der von da an wieder regelmäßig und bundesweit begangen werden soll. Feiertage können noch so harmlos sein, in Deutschland haben sie doch immer ihre besondere Geschichte: Unter den Nazis eingeführt, für deren kriegsunterstützende Sammelaktionen benutzt. Dann nach 1949 getrennt für Ost und West durchgeführt. Im Westen nach und nach eingeschlafen, in der DDR, dem Paradies der Verbände und Vereinsmeierei aber konsequent jährlich ausgerichtet. Im Jahr 1975 setzen die BRD-Philatelisten in der Kongresshalle nun einen Neuanfang für ihren „Tag der Briefmarke“.
Kommt die Kongresshalle auf hochpreisigen deutschen Postwertzeichen und Sonderstempeln schon häufig vor, ist sie als Ansichtskartenmotiv glatt ein Mega-Star.
Ein Besuch in einem „Antiquariat Ihres Vertrauens“ genügt, und beim Grabbeln in einer gutgefüllten Kiste mit alten, gebrauchten oder ungebrauchten Ansichtskarten finden Sie die Kongresshalle sicher mehrere dutzend Male. Dabei spielt sie oft ein Solo, häufig ist sie aber auch Mitglied eines thematisch betitelten Bildensembles. Eine Karte „Berlin, wie es weint und lacht“ etwa vereint sie mit Ansichten vom Luftbrückendenkmal, von der ruinösen Gedächtniskirche und von der Mauer nebst Brandenburger Tor und dem Schild „You are leaving the British Sector“. Eine ähnliche Gruppe wird unter der Behauptung „Berliner Schnauze: Dufte wa? Wat wa allet ham!“ zusammengefasst, nur dass da die Kirche „Hohler Zahn“ heißt, das Denkmal „Hungerkralle“ – und, wie könnte es auch anders sein, „Betonauster“die Kongresshalle. Dann gibt es noch „Berlin, det is`ne Wolke“, „Berlin bei Nacht“ und den Klassiker „Berlin ist eine Reise wert!“. In welcher Form aber auch immer – Solo oder im Bildchenteppich - sicher ist die Halle eine der meistverschickten deutschen Ansichten.
An den Texten auf der Rückseite fällt wahrscheinlich auch Ihnen auf, dass viele der Absender die Karte dazu nutzen, sich für Schreibfaulheit zu entschuldigen. In unserer Sammlung ist es jedenfalls so: „Du wunderst Dich sicher, dass ich noch lebe“ vermutet da eine Karin, „Ich habe Dich nicht vergessen“, behauptet Margarete, „Es tut mir leid, dass Ihr auf ein paar Zeilen warten musstet“, schreibt Inge. Oder es wird vertröstet: „Brief kommt noch, Martin“, „Schreibe Euch noch ausführlicher“, verspricht ein Joachim und endet nach sage und schreibe ganzen fünf Zeilen auf den Satz, „Damit möchte ich Schluss machen“. Andere drehen den Spieß um und beklagen sich sarkastisch über mangelnde Schreibfreude, so: „Ja, liebe Erika, ich staune nicht wenig, dass Du Dich auch noch mal an mich erinnerst!“
Manche aber stellen lieber selbst sicher, dass auch wirklich immer genügend Post kommt – die Postkartenfreaks. So schreibt 1988 eine Alexandra, sie sei 17 Jahre alt und „totaler Ansichtskartensammler“ und wolle mit dem Adressaten im schwäbischen Geislingen in einen „Ansichtskartenkrieg“ treten. Und in dem gibt Alexandra mit „Kongresshalle bei Nacht“ denn auch gleich den ersten Schuss ab.
Axel Besteher-Hegenbart, Januar 2007
Veröffentlicht im Rahmen des Projekts „50 Jahre – 50 Episoden“ zum 50. Geburtstag der Kongresshalle 2006/07