1973: Aus Pflanzenreich, Tierreich und Gesellschaft
Ein Dutzend Spitznamen für eine der prominentesten Berliner Sehenswürdigkeiten
Im August genehmigt der West-Berliner Senat die Auflösung der Benjamin-Franklin-Stiftung. Offensichtlich wird der Zweck der Stiftung als erledigt angesehen, die ja nicht nur die Kongresshalle gefördert, sondern auch Geld für ein großes modernes Krankenhaus für West-Berlin aufgetrieben hatte. Auch an diesem Neubau war die US-State Department-Beauftragte Eleanor Dulles beteiligt gewesen, indem sie Sponsoren gewann. 1968 wurde das Hospital als Benjamin-Franklin-Klinikum an den Rektor der FU übergeben – durch den amerikanischen Gesundheitsminister und natürlich in der Kongresshalle. Mit der nun administrierten Auflösung der Stiftung verschwindet das vorletzte Stück Verehrung des USA-Gründervaters aus Berlin. Nur das Uniklinikum erinnert noch an ihn, denn der Name Benjamin-Franklin-Halle, den die Kongresshalle 1957 bei der offiziellen Taufe erhielt, hat sich ja nicht durchgesetzt.
Dafür hat man ihr aber schon ein Dutzend unterschiedlicher Spitznamen zugeschrieben. Kurz vor der Eröffnung spricht eine Berliner Zeitung von „Apfelsinendach“. Dagegen wird die Kongresshalle laut TIME magazine vom September 57 von den Berlinern „Dulleseum“ genannt. Womit der große Beitrag von Eleanor Dulles und ihrem älteren Bruder, dem Außenminister John Foster Dulles, zum Bau der Kongresshalle scherzhaft gewürdigt wird. „Schwangerer Schmetterling“ heißt sie dafür schon 1955 in einem Bericht eines amerikanischen Außenministeriumsoffiziellen. Das ist eine seltsame Vorwegnahme des Namens der Henry Moore-Skulptur, die 42 Jahre später als „Butterfly“ im Spiegelteich vor der Halle aufgestellt werden wird. Der heute noch kursierende Nickname „Schwangere Auster“ schließlich kommt wohl auf, als die stabilisierenden Ränder des Dachs aufgrund der Bedenken der Statiker dick verstärkt ausgeführt werden. Angeblich erinnert nicht nur die nun stärkere `Schale`, sondern auch die Spiegelung in den Teichen vor der Vorderfront an ein aufgeklapptes Schalentier.
Aber es gibt noch andere skurrile Namen: „Mrs. Dulles` Hutschachtel“, oder auch nur „Hutschachtel“. Das und „Betonauster“ und „Große Klappe der Berliner“ kann man sich erklären. Auch den Bezug zur besonderen Geschichte West-Berlins, der sich in „Onkels Sams Zylinder“ oder „Prärie-Auster“ ausdrückt. „Sattel der Berolina“ hat etwas leicht Anrüchiges, findet aber seine Erklärung in der Dachform der Kongresshalle. Aber was fängt man mit dem Spitznamen „Babywaage“ an? (Sollten Sie eine Erklärung haben, bitte mailen Sie mir an info@hkw.de, Stichwort: Babywaage)
„Schwangere Auster“ wird jedenfalls eindeutig der Favorit unter allen Necknamen und ist so zugkräftig, dass sogar eine Souvenir-CD mit einer Aufnahme von Hildegard Knef und Max Raabe auf dem ersten Track und einem „Berlin bleibt doch Berlin“-Instrumental auf dem zweiten das Bild der Kongresshalle trägt. Und das nur deshalb, weil das Wort Auster im Titel des Couplets von Knef/Raabe enthalten ist, das ansonsten aber so überhaupt gar nichts mit dem Berliner Wahrzeichen zu tun hat – sondern wirklich von Schalentieren handelt, die im dunklen Nassen wohnen. Während ihre Perle natürlich im Ausschnitt einer besseren Dame baumelt, und sie dann selbst geeist verspeist werden.
Übrigens scheint es eine besondere Nachkriegsvorliebe der Berliner für Austern gegeben zu haben: 1954 legt der New York Times-Gastronomie-Korrespondent einem Pariser Gourmetkoch eine Spezialitätenspeisekarte aus West-Berlin vor. Der ist geschockt: Da gibt es gebratene Austern auf Sauerkraut – „absolument dégoutant!“
P.S. Es geschieht im Jahr 2007: Da behauptet die B.Z., ihre Abbildung eines wenig bekleideten Pärchens in komplizierter Kamasutra-Stellung, sei von der Kongresshalle inspiriert - „Position Schwangere Auster“.
Axel Besteher-Hegenbart
Der Tagesspiegel, 9.10.1968
Der Abend 10.9.57
TIME Sep. 30, 1957
Barbara Miller Lane, The Berlin Congress Hall 1955 – 1957, in: Perspectives in American History - New Series, Vol. 1 1984
Peter Krönig-Detlefsen, Das geschah in Berlin, Berlin o.J.
Ingeborg Holtz-Baumert (Hg.): “Im Spitznamen des Volkes”, München 1963
New York Times 11.2.54
B.Z. 10.1.2007
www.hildegardknef.de/Texte/