1972: Ein fremder Blick
Kuchipudi, Hard Bob und Ragas in der Kongresshalle
Hier soll nun mal zu zwei Dritteln aus der besonderen Perspektive des Hauses der Kulturen der Welt geschrieben werden. Also ist vom Parteitag der Berliner SPD 1972 in der Kongresshalle nur nebenbei die Rede. Nur soviel: Da es der erste Parteikonvent nach Inkrafttreten des Berlin-Abkommens der vier Ex-Alliierten ist, werden dort die Erleichterungen auf den Transitwegen und für Besuche Ost-Berlins und der DDR erwähnt. Es wird auf zwei Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete geschimpft. Die hatten im Zusammenhang des schließlich gescheiterten Mißtrauensantrags gegen Kanzler Willy Brandt und seine Ostpolitik im Frühjahr die Sozialdemokraten verlassen – unter Mitnahme des Mandats. Und die Polizei wird gelobt, die im Juni kurz zuvor mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin zwei Köpfe der RAF verhaftet hat. Ulrike Meinhof folgt dann kurz nach dem Parteitag. Diese Fahndungserfolge antworten auf eine ganze Reihe von Bombenattentaten auf die US-Armee, auf Richter und das Hamburger Springer-Hochhaus. Wichtige, „in Deutschland welthistorische“ Ereignisse sind das, aber …
… schauen wir doch mal nach, wie sich die Kongresshalle als Bühne außereuropäischer Künste jenseits der transatlantischen Achse macht. Und wie die Medien reagieren. Kurz nach den Rednern der SPD gastiert Yamini Krishnamurti in der Kongresshalle, mit ihren meisterhaften Tanzsoli im Stil des Bharata Natyam und Kuchipudi. Sie ist eine der Tänzerinnen der Ära nach der Unabhängigkeit Indiens 1947, die sich neu der klassischen Tradition nähern. Und eine der ersten, die vor riesigen Auditorien eine die ganze Nation umfassende Popularität aufbauen, also auch in Nordindien mit ihren dort unbekannten südindischen Tanzstilen reüssiert. Nun ist sie in Berlin, soll später bei der Sommerolympiade in München auftreten. Der Tagesspiegel-Rezensent, alter Berliner Tanzkenner, liefert eine minutiöse Kritik. Es sind nicht die ersten indischen Kulturtage, der Indische Kulturverein ist rührig, aber: Der Kritiker setzt nichts voraus, beschreibt ihr Kostüm genauso wie die „zisterzienser-mönchs-ähnliche“ Kleidung ihres ansagenden Vaters genauso wie jede Motion und die Handbewegungen, führt indische Bezeichnungen ein, erklärt, höchst ernsthaft. Und zugleich wird man irgendwie das Gefühl nicht los, mit dem Kritiker zusammen in eine Panoramavitrine zu gucken, in dem eine „zarte Tanzschönheit“, „ein entzückendes Persönchen“ agiert. Aber es wird sich auseinander gesetzt, im Jazz wohl ein Stück früher. Schon die vierte Ausgabe der Jazztage, die 1967 in der Kongresshalle eröffnet wird, stellt Papst Joachim E. Berendt unter das Motto: „Jazz Meets the World“. Waren auf den vorhergehenden Festivals neben der alles dominierenden USA-Europa-Schiene nur je einmal Musiker aus Japan und Brasilien vertreten, geht es hier um die Tendenz des „Free Jazz“, folkloristische Musiktraditionen aller Kontinente als gleichberechtigt zu erkennen. So Feuilletonchef Heinz Ohff im Tagesspiegel. Und der wirft bei aller Begeisterung über eine Session des Ex-Miles Davis-Ausnahme-Drummers Philly Joe Jones mit abendländischem Flötist und indischem Tampura-Trommler - für die Berliner Morgenpost eine „Befreiung“ aus ansonsten steriler Atmosphäre - sofort die weltmusikalische Gretchenfrage auf: „Glanz oder Elend des Eintopfes“.
Axel Besteher-Hegenbart
Rede Klaus Schütz auf dem 29. Landesparteitag der SPD, 10.6.1972, Typoskript
Der Tagesspiegel 21.6.1972
Der Tagesspiegel 4.11.1967
Berliner Morgenpost 4.11.1967