1964 : Kampf dem (Neo-)Kolonialismus!

Ollenhauer, Brandt und die internationalen sozialistischen Jungen

02.07.1959 , Kundgebung beim Camp der Sozialistischen Jugendinternationalen 1959 in der Kongresshalle , Copyright: Landesarchiv Berlin / Gert Schütz

120 Delegierte aus 60 Ländern sind in diesem September nach West-Berlin gereist, zur Tagung der Sozialistischen Jugendinternationalen IUSY in der Kongresshalle. Die Organisation mit dem nett klingenden Namen – Abkürzung für „International Union of Socialist Youth“ - ist die 1946 wiedergegründete Jugendabteilung der Sozialistischen Parteien und steht in Konkurrenz zum ebenso internationalen Weltbund Demokratischer Jugend. In diesen Jahren gilt ja, wo demokratisch draufsteht, ist häufig kommunistisch drin, und so ist es auch beim Weltbund. Deshalb hatten erste Einheitsversuche zwischen IUSY und Weltbund schnell ein Ende gefunden, als die sozialdemokratischen Jugendorganisationen in der CSSR und in Ungarn unterdrückt und aufgelöst wurden. Und auch bei dieser Tagung 1964 in Berlin wird die Abgrenzung gegenüber Kommunisten bekräftigt. Damit befindet sich die IUSY zwischen gleich mehreren Stühlen. Denn durch ihren Kurs unter dem Motto „Weder Ost noch West – für eine sozialistische Welt“ und mit Aktionen für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Kolonien geraten die Jungen Sozialisten in Konfrontationen mit ihren nach Machtpositionen strebenden Mutterparteien. So Anfang der 60er Jahre beim Algerienkrieg, der von einer sozialistischen Regierung forciert wurde. Die IUSY forderte dagegen den Abzug der französischen Kolonialtruppen. Oder mit Demonstrationen bei der NATO, die das portugiesische Salazar-Regime aus ihren Beständen ausrüstete, zur Unterstützung der angolanischen Befreiungsfront. Und der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS war ja auch bereits 1961 von der SPD-Führung ausgeschlossen worden. Dennoch: Der damalige SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer sprach 1959 zum Abschluss eines Camps der IUSY mit 5000 Teilnehmern noch unter einer riesigen anti-kolonialen Parole – auch das in der Kongresshalle. Und zur Tagung 1964 hat sich Willy Brandt angesagt, der neue Kopf der deutschen Sozialdemokraten. Fotos zeigen ihn händeschüttelnd mit Delegierten aus Afrika. Es kann natürlich sein, dass man in diese Shake hand-Szenen eine leicht paternalistische Haltung Brandts nur hereininterpretiert, aber es sieht doch stark so aus. Die Sozialistische Jugendinternationale aber hat aus ihrer antikolonialen Haltung auch organisationsintern schon längst praktische Konsequenzen gezogen: Das Treffen in der Kongresshalle wird von ihrem Präsidenten aus Burma geleitet

Zu Beginn der 60er Jahre endet nach und nach die Phase des offenen Kolonialismus, gegen den sich die IUSY positionierte hatte. Staaten gewannen ihre Unabhängigkeit, ab jetzt geht es um Einflusszonen. Und in diesem „Spiel“ werden 1964 wichtige Züge getan, die noch lange nachwirken: Der westlich orientierte Faisal kommt an die königlich-saudische Macht. Die arabischen Staaten treffen sich erstmals zu einem Gipfel. Die PLO gründet sich – und wird in der Folge von vielen Internationalen Jungsozialisten unterstützt. Und in Asien: Die erste chinesische Atombombe explodiert. Die USA gehen mit vollem Einsatz in den Vietnamkrieg - der Kongress beschließt als Reaktion auf den fingierten Zwischenfall mit einem US-Zerstörer im Golf von Tonkin die entscheidende Ermächtigung für den Präsidenten. Die folgenden Flächenbombardements in Vietnam – wir wissen es - werden nun Kristallisationspunkt einer weltweiten Jugendbewegung.
Axel Besteher-Hegenbart

Heinrich Eppe, „Die Kraft der Solidarität. 80 Jahre Sozialistische Jugendinternationale“, 1987
Der Tagesspiegel 12.9.1964
Der Tagesspiegel 16.9.1964